ÖB 08/2024: „„Deutschland unter seinem Potenzial““

Ökonomen-Barometer geht im August deutlich zurück. Experten sehen vor allem das politische Umfeld hierzulande kritisch. Für die USA sind sie trotz neuer Rezessionsrisiken optimistischer

Von Wolfgang Ehrensberger

Neue Sorgen um die US-Konjunktur haben maßgeblich zur jüngsten Korrektur an den Weltbörsen beigetragen. Es waren die stärksten Marktturbulenzen seit Ausbruch des Russland-Ukraine-Kriegs. Dabei hatte die US-Wirtschaft im zweiten Quartal ihr Wachstumstempo noch auf 2,8 (erstes Quartal: 1,4) Prozent
verdoppelt. Von solchen Wachstumsraten kann man hierzulande nur träumen: So war die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal 2024 überraschend sogar um 0,1 Prozent geschrumpft, nachdem sie im ersten Quartal dieses Jahres noch ein Miniwachstum von 0,2 Prozent und ein Minus von 0,4 Prozent im Schlussquartal 2023 verbucht hatte.

In der Ökonomen-Barometer-Umfrage von €uro am Sonntag im August haben sich führende deutsche Volkswirte deshalb mit der Frage befasst, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in der größten (USA) und der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt (Deutschland) derzeit ist. Ergebnis: Während die Ökonomen die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA im Schnitt mit 32,8 Prozent beziffern, liegt der Erwartungswert für Deutschland im Schnitt deutlich höher, nämlich bei 55,7 Prozent.

Diverse Gründe

Für das höhere Rezessionsrisiko in Deutschland nennen 78 Prozent der Befragten „ungünstige Rahmenbedingungen“ als Grund, also hohe Steuern, Bürokratie und das politische Umfeld (siehe Grafik unten). Danach folgt an zweiter Stelle die Zurückhaltung der Unternehmen bei Investitionen (73 Prozent), Fachkräftemangel (63 Prozent), hohe Energiepreise (61 Prozent) und
schwache Weltkonjunktur (49 Prozent). Dagegen spielen die viel zitierten Lieferkettenprobleme (17 Prozent) und hohe Notenbankzinsen (zehn Prozent) für die Experten nur eine untergeordnete Rolle für die Konjunktur.

Hinter dem Potenzial zurück

In ihren Kommentaren sehen Ökonomen wie Lars Krömer, Chefvolkswirt des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Deutschland angesichts chronischer Wachstumsschwäche längst in einer Rezession „mit erheblichen Strukturproblemen“. Die Definition einer „technischen Rezession“ mit zwei aufeinanderfolgenden Minusquartalen verliert laut Oliver Landmann (Uni Freiburg) angesichts von Wachstumsraten nahe null an Aussagekraft. Auffällig ist, dass in vielen Antworten neben schwindender globaler Nachfrage vor allem das politische Umfeld in Deutschland als Grund für die Wirtschaftsschwäche
genannt wird. „Deutschland bleibt auch aufgrund seiner Wirtschaftspolitik stark hinter seinem Potenzial zurück“, bringt es David Stadelmann (Uni Bayreuth) auf den Punkt. Hohe Energiepreise und das künftige Verbot von Verbrennerautos (Horst Schellhaaß, Uni Köln), werden als Beispiele genannt.

Dagegen wird der US-Wirtschaft eine deutlich größere Robustheit attestiert. Sollte sich die Konjunktur dort dennoch weiter abkühlen, könne die Notenbank Fed ab September mit Zinssenkungen gegensteuern. Die Chefvolkswirtin der Allianz-US-Vermögensverwaltungstochter Pimco, Tiffany Wilding, rechnet ab
September mit einer Zinssenkung der Fed pro Quartal (siehe Interview links). Derzeit deute aber nichts auf eine Rezession in den USA hin, erläuterte Berenberg-Ökonom Felix Schmidt.

Barometer bricht ein

Das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag ist unterdessen im August stark zurückgegangen. Sowohl die Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage in Deutschland als auch der Ausblick für die kommenden zwölf Monate
sind gegenüber dem Vormonat um jeweils rund 15 Prozent gefallen (siehe Grafik unten). Der Rückgang deckt sich mit dem Einbruch des am Dienstag veröffentlichten Barometers des ZEW Mannheim – einer Umfrage unter 152 Analysten. Vor allem der Ausblick für die kommenden sechs Monate ging dort deutlich um 22,6 Punkte auf 19,2 Zähler zurück. „Der wirtschaftliche Ausblick für Deutschland bricht ein“, kommentierte ZEW-Chef Achim Wambach die Entwicklung. „In der aktuellen Umfrage beobachten wir den stärksten Rückgang der Konjunkturerwartungen in den vergangenen zwei Jahren.“

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