Im Ökonomen-Barometer September verdüstert sich vor allem der Ausblick deutlich. Volkswirte fordern den Bund zu weiterer Privatisierung börsennotierter Konzerne auf.
Von Wolfgang Ehrensberger
Die Perspektiven für die deutsche Wirtschaft trüben sich weiter ein. Das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag ist in der September-Umfrage deutlich zurückgefallen und hat seinen Abwärtstrend sogar noch etwas
beschleunigt. Die Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage in Deutschland ging um 16,9 Prozent auf 26,0 Punkte zurück. Besonders verdüstern sich die Perspektiven für die kommenden zwölf Monate: Der entsprechende Prognosewert geht um 31,7 Prozent auf 19,9 Punkte zurück. Die Hoffnungen ruhen nun darauf, dass sich die Lage zum Jahresende bessern könnte. „Der für das dritte Quartal erwartete Beginn einer wirtschaftlichen Erholung wird verschoben auf das vierte Quartal“, erläuterte Donner-&-Reuschel-Chefvolkswirt Carsten
Mumm. „Zudem dürfte der Aufschwung in den kommenden Monaten noch weniger dynamisch ausfallen.“
Institute senken Prognosen
Zuletzt hatten bereits führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumsprognosen für das laufende Jahr herunterkorrigiert. So rechnen das Münchner Ifo-Institut und das IWH in Halle für dieses Jahr nur noch mit Nullwachstum, das RWI in Essen mit 0,1 Prozent. „Die deutsche Wirtschaft steckt fest, während andere Länder den Aufwind spüren“, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Das liegt nicht nur an der Konjunktur. Wir haben eine
strukturelle Krise.“ Während in der Industrie die Auftragspolster dahinschmelzen, werde zu wenig investiert. Dadurch sinke die Produktivität, und Weltmarktanteile gingen verloren.
Commerzbank erst der Anfang
Für kontroverse Diskussionen in der September-Umfrage des Ökonomen-Barometers sorgte das Thema Staatsbeteiligung und Staatsrückzug bei Unternehmen. So hatte der Bund erst vergangene Woche den Ausstieg aus seiner
Commerzbank-Beteiligung angekündigt. Gleichzeitig bereiten Bund und Land Niedersachsen die staatliche Übernahme des größten deutschen Schiffbauers Meyer Werft vor. Diese staatliche Rettungsaktion lehnten rund zwei Drittel der Volkswirte ab, ein Drittel hält ihn für sinnvoll (siehe Grafik unten). Befürworter wie Nikolaus Wolf (Humboldt-Uni Berlin) verweisen auf die strategische Bedeutung der Werft für die deutsche Industrie, die wiederum von den Gegnern vehement bestritten wird. Statt einzelne Unternehmen mit Steuergeldern zu
retten – was ineffizient sei und falsche Anreize setze –, solle sich der Staat auf bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft konzentrieren, sagt Berenberg-Senior-Economist Felix Schmidt. Noch ablehnender fällt im Übrigen das Urteil für eine mögliche Beteiligung des Staates an der Stahlsparte von Thyssenkrupp aus: Drei Viertel der Teilnehmer sprechen sich dagegen aus, nur ein Viertel
dafür. Aus verschiedenen Gründen ist der Bund derzeit noch immer an mehreren DAX-Konzernen beteiligt, darunter Commerzbank, DHL (Post), Deutsche Telekom und Airbus. Erst vergangene Woche hatte die Finanzagentur des Bundes den Ausstieg aus der 16,49-prozentigen Beteiligung an der Commerzbank angekündigt, die zur Stabilisierung des Instituts in der Finanzkrise 2008/2009 eingegangen worden war (siehe Seite 12). 81 Prozent der Teilnehmer befürworten eine weitere Privatisierung von derartigen Bundesbeteiligungen. Interessant ist der Hinweis von Wolfgang Ströbele (Uni Münster), dass eine Privatisierung nur dann erfolgversprechend sei, wenn es im entsprechenden Markt Wettbewerb und keine monopolistischen Strukturen gebe. Laut Lars Krömer, Chefvolkswirt des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, sollten sich Staatsbeteiligungen grundsätzlich auf strategische Wirtschaftsbereiche wie Rüstung/Defense und Energie sowie auf systemrelevante Vertrauenskrisen (Commerzbank im Jahr
2008) beschränken. Nachdem der Bund den Ausstieg aus der Commerzbank eingeleitet hat, sehen die meisten Ökonomen den Logistikkonzern DHL Group
und die Deutsche Telekom als die nächsten möglichen Kandidaten für einen Rückzug an. Beide Beteiligungen stammen noch aus der Zeit, als der Staat ein Monopol auf das Post-und Telekommunikationswesen innehatte, das aber längst aufgehoben ist. Bei Uniper wiederum ist der Staat nach Ausbruch des Russland-Ukraine-Kriegs eingestiegen, um die Energieversorgung zu gewährleisten. Airbus und Hensoldt gelten als Rüstungskonzerne mit strategischem Interesse des Staates.