ÖB 07/2024: „An China-Zöllen der EU scheiden sich die Geister“

Das Ökonomen-Barometer legt im Juli wieder etwas zu. Doch die Hoffnungen auf einen Aufschwung in Deutschland erhalten einen kräftigen Dämpfer. Kontrovers diskutiert werden die China-Zölle der EU

Von Wolfgang Ehrensberger

Ein nachhaltiger wirtschaftlicher Aufschwung in Deutschland lässt weiter auf sich warten. Zwar kletterte das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag in der Juli-Umfrage um sieben Prozent auf 34,8 Punkte. Nach zwei Monaten der Stagnation regt sich damit wieder etwas Leben in diesem Wirtschaftsindikator. Doch der Ausblick für die konjunkturelle Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten, die zweite Komponente des Barometers, bleibt mit 30,2 Punkten nahezu unverändert zum Vormonat. Basis der Daten ist eine exklusive monatliche Umfrage von €uro am Sonntag unter führenden Ökonomen.

Einkaufsmanagerindex sackt ab

Die verhaltene Stimmung deckt sich mit anderen Konjunkturdaten aus
Deutschland, die in den vergangenen Tagen den Hoffnungen auf einen nachhaltigen Aufschwung einen Dämpfer versetzt haben. So fiel der Einkaufsmanagerindex (PMI) für die deutsche Industrie und die Dienstleister im Juli auf 48,7 Zähler. Damit liegt dieser wichtige Frühindikator, der vom Finanzdienstleister S & P Global ermittelt wird, erstmals seit vier Monaten wieder unterhalb der Schwelle von 50 Punkten, die Wachstum signalisiert. Ökonomen hatten dagegen eine Fortsetzung des Wachstumskurses erwartet.
Der PMI-Index misst die Entwicklung bei Umsätzen, Beschäftigung, Lagerhaltung und Preisen und wird an den Finanzmärkten aufmerksam registriert. „Die deutsche Wirtschaft ist im Juli wieder in den rezessiven Bereich gerutscht“, analysierte VP-Bank-Chefvolkswirt Thomas Gitzel die Zahlen. Auch europaweit ist der entsprechende Index deutlich zurückgegangen. „Die Zahlen enttäuschen auf voller Linie, die zähe wirtschaftliche Entwicklung dürfte in die Verlängerung gehen“, sagte Gitzel.

Wachstumsprognosen wackeln

Auch nach Einschätzung der Commerzbank setzen die Zahlen ein Fragezeichen hinter die Wachstumsprognosen für das zweite Halbjahr. Die deutsche Wirtschaft war zu Jahresbeginn mit einem kleinen Plus von 0,2 Prozent nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt. Im vierten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,5 Prozent geschrumpft. Wenn sich Deutschland als größte Volkswirtschaft der Eurozone schwertue, werde der BIP-Zuwachs des Währungsraums insgesamt belastet, ergänzte der VP Bank-Ökonom Gitzel. Vermutlich müssten nun die Prognosen für das BIP Wachstum im laufenden Jahr vielerorts nach unten revidiert werden. Die EZB hatte zur Zinswende im Juni in ihren Projektionen für 2024 ein Plus beim BIP von 0,9 Prozent erwartet. Zur EZB-Ratssitzung im September, bei der viele Investoren auf eine zweite Zinssenkung setzen, werden diese Prognosen für den Euroraum aktualisiert.

Debatte um China-Zölle der EU

Die Ökonomen beschäftigten sich in der Juli-Umfrage auch mit den
vorläufigen Strafzöllen auf Elektroautos aus China, die die EU kürzlich beschlossen hatte. Je nach Hersteller und Kooperationsbereitschaft liegen die Aufschläge zwischen 17,4 und 37,6 Prozent, die auf die bisher geltenden zehn Prozent draufgeschlagen werden. 46,7 Prozent der im Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag befragten Experten halten diese Zölle in dieser Höhe für richtig. Immerhin 40 Prozent sind jedoch der Ansicht, es sollten überhaupt keine Zölle erhoben werden. Die Ökonomen diskutierten die Maßnahmen in ihren Beiträgen kontrovers. Volkswirte wie Günter Franke (Uni Konstanz) halten die EU-Zölle für richtig, um Chinas massive Subventionen zu neutralisieren. Martin Leschke (Uni Bayreuth) sieht sie zudem auch als gute Grundlage für Verhandlungen. Kritisch äußerte sich ZEW-Experte Friedrich Heinemann: „Letztlich steckt hinter den Zöllen protektionistisches Denken. Es wird viel zu wenig beachtet, dass subventionierte chinesische Elektroautos die Transformation günstiger machen, beschleunigen und noch dazu einen Vermögenstransfer Chinas an europäische Kunden mit sich bringen.“ Michael Alheim (Uni Hohenheim) sieht im Zwiespalt aber schon die Lösung: „Ohne solche Zölle riskiert man, dass die einheimische E-Autoproduktion zum Erliegen kommt. Sind die Zölle zu hoch, riskiert man drastische Gegenmaßnahmen Chinas. Mit 21 Prozent zu starten und dann gegebenenfalls nachzusteuern, das ist ein guter Einstieg“, glaubt Alheim.

Subventionen am Scheideweg

Auch an der Frage, ob die EU ihre Subventionen in sogenannte „Zukunftsindustrien“ verstärken sollte, um China Paroli zu bieten, schieden
sich in der Juli-Umfrage die Geister. „Gezielte Subventionen für strategisch im EU-Inland zu produzierende Güter halte ich für sinnvoll“, sagte Manfred Schweren vom Vermögensverwalter Privalor. Die meisten Ökonomen verwiesen allerdings auch darauf, dass der Begriff „Zukunftsindustrien“ zu vage formuliert ist und niemand wisse, was das eigentlich genau sei, am wenigsten der Staat, der zudem aufgrund des Drucks von Interessengruppen dazu neige, eher in „Vergangenheitsindustrien“ zu investieren. Oliver Landmann von der Uni Freiburg schlägt deshalb diesen Kompromiss vor: „Förderung des Forschungs- und Innovationsstandorts Europa ja, Subventionierung individueller industrieller Fertigungslinien nein.“

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