ÖB 04/2018: „Ökonomen-Barometer: Ringen um die EZB-Spitze“

Die Amtszeit von Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), endet im Herbst 2019. Die Nachfolgediskussion ist in vollem Gang: Neben Kandidaten wie dem französischen Notenbankchef François Villeroy de Galhau oder dem irischen Chefwährungshüter Philip Lane gilt Bundesbank-Chef Jens Weidmann bislang als aussichtsreichster Kandidat – und das nicht nur, weil nach dem Franzosen Jean-Claude Trichet und dem Italiener Draghi ein Deutscher turnusmäßig dran wäre. Doch die EZB-Spitzenpersonalie erweist sich als zunehmend brisant. Das zeigen auch die Antworten führender Volkswirte in der ­April-Umfrage des Ökonomen-Barometers von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv.

von Wolfgang Ehrensberger, €uro am Sonntag (zum Artikel auf finanzen.net)

„Merkel stützt ihn nicht“
Fast 70 Prozent der befragten Experten sind zwar der Ansicht, dass Weidmann als EZB-Präsident das Vertrauen in den Euro gerade in jenen Ländern stärken würde, in denen sich Sparer durch die Niedrigzinspolitik der EZB geschädigt fühlten. Und immerhin 91 Prozent der Befragten würden mit Jens Weidmann eine restriktivere Geldpolitik verbinden als unter dem noch amtierenden Draghi. Dennoch rechnet nur eine Minderheit von 42 Prozent damit, dass Weidmann tatsächlich den Italiener beerbt.

Das hängt auch damit zusammen, dass die Besetzung des EZB-Postens eng verknüpft ist mit anderen, neu zu besetzenden europäischen Top-Positionen, insbesondere der des EU-Kommissionspräsidenten. Ein deutscher Kommissionschef als Nachfolger von Jean-Claude Juncker ist der Bundesregierung wohl wichtiger als ein deutscher EZB-Chef, der sich ohnehin in die komplexen EZB-Sachzwänge einfügen müsste.

„Angela Merkel wird sich nicht für Jens Weidmann einsetzen.“ Dieser Satz taucht in vielen Antworten der Ökonomen auf, etwa bei Wilfried Fuhrmann (Uni Potsdam), Karlhans Sauernheimer (Uni Frankfurt) oder Jürgen von Hagen (Uni Bonn). Und falls Weidmann es doch schafft?

Volker Nitsch (TU Darmstadt) verweist auf die Abstimmungsregeln im EZB-Rat, an denen der Deutsche mit seiner Politik scheitern würde. David Stadelmann (Uni Bayreuth) glaubt sogar, dass Weidmann seinen Bundesbank-Hut gleich ablegen und quasi im EZB-Mantel Draghis Erbe antreten würde.

„Weidmann wäre ein Gewinn“
Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim hielte einen Deutschen an der EZB-Spitze nichtsdestotrotz für einen Gewinn, selbst dann, wenn Weidmann die gleiche ­Politik machen würde wie Draghi. „Die deutschen Sparer könnten dem EZB-Chef nicht länger unterstellen, dass er expansive Geldpolitik nur deshalb betreibt, um sein eigenes Land vor dem Finanzkollaps zu retten.“