ÖB 09/2013: „Bombenstimmung und schlechte Zensuren“

Deutschlands führende Volkswirte werden immer optimistischer. Der Regierung stellen sie gleichzeitig ein dürftiges Zeugnis aus.

von Wolfgang Ehrensberger, Euro am Sonntag  (Link)

Die Stimmung bei Deutschlands führenden Ökonomen hat sich im September weiter deutlich auf­gehellt. Vor allem die wirtschaftlichen Aussichten für die kommenden zwölf Monate beurteilen die Volkswirte wesentlich besser als noch im vorangegangenen Monat. Das geht aus dem Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv für den September hervor.

Die Prognose steigt um fast 21 Prozent auf 66,7 Punkte, eine der höchsten jemals im Ökonomen-Barometer gemessenen Zuwachsraten. Aber auch die Einschätzung der aktuellen Lage legte mit einem Plus von fast zwölf Prozent auf knapp 60 Punkte überraschend stark zu. Damit liegen die Ökonomen auf einer Linie mit den Börsenprofis des ZEW-Barometers für die kommenden sechs Monate, das im September um fast acht Prozent auf den höchsten Stand seit April 2010 geklettert ist.

Trotz der guten Stimmung bekommt die Bundesregierung unmittelbar vor den Bundestagswahlen an diesem Wochenende noch mal ihr Fett weg. Bewertet nach Schulnoten, schafft sie in keiner der fünf Bereiche Energie, Umwelt, Familie, Wirtschaft und Finanzen eine bessere Note als „befriedigend“ (3,0).

Zerbröselnde Infrastruktur
Die mit Abstand schlechteste Bewertung fährt die Energiepolitik mit einer Durchschnittsnote von 4,3 ein. Mehr als die Hälfte der Befragten (51 Prozent) vergeben hier die Note 5 oder 6. Noch die besten Zensuren erzielen die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Den höchsten Anteil an Einsern (neun Prozent) gab es im Bereich Wirtschaftspolitik. „Im Schnitt befriedigend“, bringt es Bernd Raffelhüschen (Uni Freiburg) auf den Punkt — und liefert damit noch eine der wenigen positiven Einschätzungen.

„Die politischen Entscheidungen sind immer losgelöster und kaum von ökonomischem Sachverstand getrübt“, kommentiert dagegen Wilfried Fuhrmann von der Uni Potsdam. „Das Land lebt auf einer zerbröselnden Infrastruktur, mit steigenden Energiepreisen bei steigender Versorgungsunsicherheit und hohen Schulden trotz der ex­trem niedrigen Zinsen für den Bund und der hohen Steuereinnahmen.“ Für Stephan Klasen von der Uni Göttingen wurde in Berlin nach einer anfänglichen Serie von Fehlentscheidungen eigentlich überhaupt nicht mehr regiert und allenfalls auf Probleme der Eurozone reagiert.

Die Ökonomen kritisieren vor allem fehlende strukturelle Verbesserungen — wie eine Reform der Mehrwertsteuer, die still und heimlich ­beerdigt worden sei, so etwa Volker Hofmann vom Bundesverband deutscher Banken. Das alles vor dem Hintergrund einer unglaublich guten Lage, bei der man mehr erwartet hätte, meint Ulrich Blum (Uni Halle-Wittenberg): „Die Rendite der guten Jahre wurde schlicht verspielt, auch durch inkonsistente Politik wie bei der Energie.“

Stabileres Finanzsystem
Immerhin: Die Gesetze und Regulierungen für den Bankensektor haben nach Einschätzung von zwei Dritteln der Befragten grundsätzlich die Stabilität des Finanzsystems verbessert. Fast ebenso viele sehen damit einen besseren Schutz vor Bankenkrisen; außerdem sei mit den neuen Regeln das Geld der Steuerzahler besser geschützt als vorher.

Als Schlüsselwort taucht in vielen Antworten der Ökonomen ein „ja aber“ auf: Zwar seien in vielen Be­reichen Fortschritte erzielt worden, nach wie vor aber gebe es beträchtliche Risiken. Vor allem die nach wie vor niedrigen Eigenkapitalquoten der Banken und die internationale Ansteckungsgefahr werden als gefährlich gesehen. Auch wachse durch die zahlreichen neuen Vorschriften seit 2008 die Gefahr einer Überregulierung und neuer systemischer Risiken. „Nach wie vor handelt es sich primär um eine Symptom­behandlung“, lautet das Fazit von Peter Oberender von der Uni Bayreuth. Für seinen Kollegen Thomas Apolte (Uni Münster) ist vor allem die Frage der Insolvenz von Banken und Staaten weiterhin ungelöst. 

Hier geht es zu den Stimmen der Volkswirte (PDF)

Für das Ökonomen-Barometer wurden zwischen 10. und 18. September rund 600 Volkswirte in Banken, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden befragt.