ÖB 11/2024: „Neue Schuldenkrise im Anmarsch?“

Ökonomen-Barometer sinkt weiter. Volkswirte sehen Frankreich noch vor den
USA und Italien als größten Risikofaktor für Finanzstabilität. Bankaktien gefährdet.

Von Wolfgang Ehrensberger

Das Ökonomen-Barometer, eine Exklusivumfrage von €uro am Sonntag unter führenden Volkswirten, sackt im November weiter ab. So fällt der Barometer-
wert für die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland um weitere sechs Prozent auf 24,6 Punkte. Die Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten geht um acht Prozent auf 19,4 Punkte zurück. Das Barometer hat damit seine Talfahrt nach einer kurzen Unterbrechung im Vormonat fortgesetzt. Der Befund deckt sich mit jüngsten Prognosen der Bundesbank, die von einer anhalten den Konjunkturflaute im vierten
Quartal ausgeht. Die Volkswirte befassten sich in der November-Umfrage mit den globalen Risiken für eine neue Staatsschuldenkrise, mit der Konsequenz schwerer Verwerfungen an den Finanzmärkten und Börsen. Erst vor Kurzem hatten der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) die Staaten dazu aufgefordert, die Phase sinkender Leitzinsen für eine Konsolidierung der Fiskalpolitik zu nutzen. Andernfalls sei ein „erhebliches Risiko für die finanzielle Stabilität“ zu befürchten, warnte BIZ-Präsident Agustin Carstens. An den Finanzmärkten könne es dann zu „drastischen Neubewertungen kommen, die das Finanzsystem gefährden“.

„Frankreich ist das neue Italien“

23 Prozent der Teilnehmer der November-Umfrage des Ökonomen-Barometers stuften das Risiko einer neuen Finanzkrise als „groß“ ein, vier Prozent als „sehr groß“. Die meisten Teilnehmer (54 Prozent) sehen ein „mittleres Risiko“, 18 Prozent ein „geringes Risiko“. Der IWF-Forderung nach einer Haushaltskonsolidierung schlossen sich 85 Prozent der Teilnehmer an, 15 Prozent hielten die Forderung für nicht sinnvoll. Nicht zuletzt die US-Wahl hatte Befürchtungen geschürt, unter einem Präsidenten Donald Trump könne es
zu einer rasant steigenden Staatsverschuldung in den USA kommen. Zu den Ländern, von denen die größten Risiken für eine neue Schuldenkrise ausgehen könnten, zählten die Volkswirte überraschenderweise vor allem Frankreich (27 Nennungen), gefolgt von USA (17 Nennungen) und Italien (16 Nennungen). China folgt auf Rang 4 mit sechs Nennungen, Deutschland auf Rang 5 mit fünf Nennungen. Griechenland, der Ausgangspunkt der Staatsschuldenkrise
ab 2010, wird nur noch von vier Ökonomen als möglicher Risikofaktor gesehen. „Frankreich ist ein unterschätzter Risikofaktor“, erläutert David Stadelmann von der Uni Bayreuth. „Das Land ist hoch verschuldet, und die dortige Regierung
bekommt die hohen Budgetdefizite nicht gesenkt.“ Auch Monika Merz von der Uni Wien ist der Ansicht, dass Frankreich auf gutem Weg ist, Italien als beständigstem Risikofaktor den Rang abzulaufen. „Vor allem die Defizite in den USA und in Frankreich haben beunruhigende Ausmaße erreicht“, warnt auch Georg Götz von der Uni Gießen. Das Thema sorgte in der Ökonomen-Barometer-Umfrage für kontroverse Diskussionen, weil Haushaltskonsolidierung mit Forderungen kollidiert, beispielsweise die marode Infrastruktur in Deutschland mit höheren Staatsausgaben zu modernisieren, um global wettbewerbsfähig zu bleiben. „Die Forderung nach Konsolidierung ist berechtigt“, sagt Oliver Landmann (Uni Freiburg). „Für Länder am Rande einer Rezession ist jedoch Haushaltskonsolidierung zum jetzigen Zeitpunkt riskant.

Trump: Auch die USA verlieren

Weiteres Thema der November-Umfrage des Ökonomen-Barometers waren die möglichen Folgen des Trump-Wahlsiegs für die Weltkonjunktur. Demnach kann von dem Trump-Sieg nur die US-Konjunktur profitieren. Die Mehrheit der Teilnehmer rechnet dagegen mit negativen Effekten auf die Weltkonjunktur, die europäische und die deutsche Konjunktur, die am stärksten betroffen wären. Doch nach Einschätzung von ZEW-Experte Friedrich Heinemann müssen sich auch die Amerikaner warm anziehen, denn Trumps Protektionismus dämpfe auch die US-Wachstumschancen erheblich. In Deutschland biete das Ampel-Aus zwar eine
Chance für Reformen. „Ich rechne aber nicht damit, dass dies kommt. Deutschland steht vor Jahren des Wohlstandverlusts mit ungewissen Folgen für die Systemstabilität.“

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