ÖB 12/2023: „Zwischen Hoffen und Bangen“

Das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag
bekommt im Dezember noch einen Dämpfer. Perspektiven für 2024.
Umstrittene Einigung im Ampel-Haushaltsstreit

Von Wolfgang Ehrensberger

Während die Aussicht auf sinkende Zinsen die Börsenkurse zu neuen Rekorden antreibt, haben führende Wirtschaftsforschungsinstitute ihre 2024er-Konjunkturprognosen für Deutschland trotz sinkender Inflation und steigender Reallöhne noch einmal gesenkt. So erwartet das Kieler Institut für Weltwirtschaft für 2024 nur noch ein Wirtschaftswachstum von 0,9 (zuvor: 1,3) Prozent. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln rechnet sogar mit einem Schrumpfen der Wirtschaft um 0,5 Prozent und begründet dies mit den erwarteten Einsparungen im Bundeshaushalt. Die Ampelkoalition hatte sich in der Nacht zum Mittwoch über den Etat 2024 geeinigt. Geplant sind vor allem Einsparungen im Klima- und Transformationsfonds. An der Schuldenbremse soll grundsätzlich festgehalten werden.

Auch das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag, eine monatliche Exklusiv-Umfrage unter Top-Volkswirten, musste im Dezember einen Dämpfer hinnehmen. Der Barometerstand, der die aktuelle Einschätzung zur Konjunktur in Deutschland reflektiert, sank um vier Prozent auf 29,9 Punkte. Die Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten brach sogar um 15 Prozent auf 24,7 Punkte ein. Vor allem die Aussichten auf 2024 hätten sich damit deutlich eingetrübt.
Auch hier schlägt die Haushaltskrise deutlich ein: Immerhin fast 43 Prozent der Teilnehmer rechnen damit, dass die Haushaltskonsolidierung zwischen 0,25 und 0,5 Prozentpunkte des 2024er-Wirtschaftswachstums kosten könnte. 53 Prozent der Teilnehmer sehen Bremseffekte von bis zu 0,25 Prozentpunkten.

45 Prozent der Ökonomen erwarten eine Fortsetzung der Rezession im kommenden Jahr, eine Mehrheit von 55 Prozent rechnet aber wieder mit Wachstum. Laut Ampel-Beschluss soll die sogenannte Schuldenbremse fortbestehen, aber bei Bedarf etwa wegen höherer Kosten für die Ukraine-Hilfe erneut ausgesetzt werden. Im Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag sprachen sich 44 Prozent der Teilnehmer für einen Fortbestand der Schuldenbremse in der bisherigen Form aus. 47 Prozent plädieren für eine Reform mit Ausnahmen beispielsweise für Infrastruktur-Investitionen. Eine
Abschaffung der Schuldenbremse fordern lediglich acht Prozent. Dem Votum schloss sich eine lebhafte Diskussion dieses Instruments an. AXA-Chefvolkswirt Gilles Moec sieht Deutschland in der Lage, sich „locker“ einen höheren Schuldenstand leisten zu können – steht mit dieser Position aber ziemlich allein auf weiter Flur. Die meisten Ökonomen befürworten zumindest
eine Reform der Schuldenbremse und zielgerichtetere öffentliche Ausgaben.

Wirtschaft kritisiert Sparkurs

Ifo-Präsident Clemens Fuest bezeichnete die Ampel-Einigung als Schritt in die richtige Richtung, der aber Fragen offen lasse. Zu begrüßen sei, dass nicht der bequeme Weg über die Ausrufung einer Haushaltsnotlage gegangen worden sei.
Deutliche Kritik kam aus der Wirtschaft. Laut dem arbeitgebernahen
IW Köln blieben wegen des Sparkurses unverzichtbare Investitionen auf der Strecke. Das IW kritisierte ebenso wie der Industrieverband DIHK die geplante Streichung des Zuschusses zu den Netzentgelten. Betrieben drohten bis zu 20 Prozent höhere Stromkosten. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer schließlich erwartet, dass die ohnehin schwache Konjunktur weiter gebremst werde – er bezifferte den Dämpfungseffekt für das Wachstum auf bis zu einem halben Prozentpunkt. Die deutsche Wirtschaft bleibe 2024 mit einem Minus
von 0,3 Prozent in der Rezession.

Chemiebranche hellt sich auf

Immerhin zeichnete sich in einigen Wirtschaftsbereichen zuletzt eine
langsame Besserung der Lage ab, beispielsweise in der chemischen Industrie, die besonders unter der Nachfrageschwäche gelitten hat. So hat es dort nach Angaben des Branchenverbands VCI im dritten Quartal erstmals seit eineinhalb Jahren wieder ein leichtes Produktionsplus gegeben. Die Nachfrage habe sich
stabilisiert, von einer echten Trendwende wollte der VCI allerdings nicht sprechen. Für das Gesamtjahr 2023 rechnet VCI-Präsident und Covestro-Chef Markus Steilemann noch mit einem Produktionsrückgang von acht Prozent. Einzelne Unternehmen konnten an der Börse von positiveren Einschätzungen bereits profitieren, beispielsweise BASF.