Volkswirte sehen Nachholbedarf bei dem Ziel, Deutschland zu einem führenden Standort für künstliche Intelligenz zu machen. Dabei sind auch Unternehmen in der Pflicht.
von Sonja Funke, €uro am Sonntag (zum Artikel auf finanzen.net)
Deutschland muss sich nach Ansicht führender Volkswirte mächtig ins Zeug legen, um in der Zukunftstechnologie künstliche Intelligenz (KI) weltweit führend zu werden. Dieses Ziel hatte die Bundesregierung Mitte der Woche ausgerufen und Eckpunkte für eine nationale KI-Strategie vorgelegt.
Zwar geht fast jeder Zweite der von €uro am Sonntag und n-tv befragten Ökonomen (46 Prozent) davon aus, dass Deutschland auf Sicht von drei bis fünf Jahren den Anschluss in der Entwicklung von KI halten kann – knapp ein Drittel der Befragten hält die Anstrengungen der Bundesregierung dennoch für „mangelhaft“ (27 Prozent) oder „ungenügend“ (neun Prozent). Als „befriedigend“ oder „ausreichend“ bewerten je 29 Prozent der Befragten die Arbeit in diesem Punkt. Für „gut“ oder „sehr gut“ befinden sie nur vier beziehungsweise zwei Prozent.
Ein Teil der Skepsis liegt wohl darin begründet, dass die Regierung in den vergangenen drei Koalitionspapieren – nahezu wortgleich – ankündigte, „bis zum Ende der Legislaturperiode“ solle der Breitbandausbau in Deutschland geschafft sein. Aktuell also im Jahr 2022.
Erst kürzlich war jedoch bekannt geworden, dass sich der Ausbau ultraschneller Internetverbindungen verzögert: Die Frequenzen für den neuen Mobilfunkstandard 5G werden voraussichtlich erst Anfang 2019 versteigert. „In Deutschland fehlt es schlichtweg an der nötigen Basisinfrastruktur. Wir unterhalten uns über künstliche Intelligenz, Robotik, Industrie 4.0, derweil haben viele Industriegebiete nicht mal Anschluss an das schnelle Internet“, sagte Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe.
Masterplan im Herbst
Davon unbeeindruckt kündigte das Bundeskabinett die Vorlage eines „Masterplans künstliche Intelligenz“ für den Herbst an. Kernpunkte sind besserer Zugang zu Daten etwa im Gesundheits- und Verkehrsbereich sowie eine verbesserte Bezahlung weltweit umworbener KI-Fachkräfte. Damit soll ein Rahmen geschaffen werden für die Aufholjagd gegenüber China und den USA.
„Eine gute Strategie der Bundesregierung für das Land vergleichbar der chinesischen ‚Made in China 2015‘-Strategie“, fordert Horst Löchel, Professor der Frankfurt School of Finance & Management. Andere Ökonomen wollen mehr Investitionen in Forschung und Infrastruktur sowie den Abbau von Regulierung und Markteingriffen. Dabei nehmen die Volkswirtschaftler auch die Firmen in die Pflicht: Kulturveränderungen in den Unternehmen seien ebenso nötig wie Kreativität bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. „Für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit sind in erster Linie die Unternehmen verantwortlich“, sagt Juergen B. Donges, Emeritus am Institut für Wirtschaftspolitik der Uni Köln. Seitens der Wirtschaftspolitik dürfe es keine Behinderungen für unternehmerische Zukunftsinvestitionen und Produktinnovationen geben.
Die größte Rolle wird künstliche Intelligenz nach Ansicht der befragten Volkswirte aber in den Branchen Finanzdienstleistung (67 Prozent), Technologie, Telekommunikation und Unterhaltung (je 60 Prozent) sowie Transport und Logistik und Gesundheit (je 53 Prozent) spielen. Wolfgang Ströbele, emeritierter Professor der Universität Münster, fordert für die Zukunftsfähigkeit des Landes indes schlicht: „Hirn in den Köpfen.“