Die Lage und die Perspektiven der deutschen Wirtschaft werden von den führenden Ökonomen des Landes nach wie vor robust eingeschätzt. Dabei hat sich vor allem die Beurteilung der aktuellen Lage seit Frühjahr auf einem Niveau eingespielt, das in etwa den Höchstständen von 2014 entspricht. Das ist das Ergebnis der Juni- Umfrage im Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv.
Die Beurteilung der Lage erreicht demnach im Juni 63 Punkte, nach 64,8 Punkten im Vormonat. Die Prognose für die kommenden zwölf Monate liegt mit 66,3 Punkten um 3,2 Punkte unter dem Vormonatswert.
Damit sind die Ökonomen etwas zurückhaltender als das Ifo-Institut, das am Mittwoch seine Prognose für das Wirtschaftswachstum 2015 von 1,5 auf 1,9 Prozent erhöht hat und die deutsche Wirtschaft in einem „kräftigen Aufschwung“ sieht. Dem könnte allerdings der Schuldenstreit mit Griechenland gefährlich werden, insbesondere, wenn es zu einem Zahlungsausfall Athens kommt.
Grexit-Erwartung steigt
Die im Ökonomen-Barometer befragten Volkswirte halten einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone (Grexit) innerhalb der nächsten zwölf Monate zunehmend für wahrscheinlich. Erwarteten im Vormonat noch 25 Prozent der Befragten ein solches Szenario, stieg der Anteil im Juni auf 40 Prozent.
Distanziert beurteilen die Volkswirte die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Fast drei Viertel der Befragten plädieren dafür, das im März gestartete und bis September 2016 laufende Mega-Anleihekaufprogramm im Volumen von über einer Billion Euro vorzeitig zu beenden. Mit der Geldschwemme will die Zentralbank die Kreditvergabe der Banken anschieben.
Die EZB hat bereits eine positive Bilanz gezogen und spricht von verbesserten Kreditbedingungen für Unternehmen und Haushalte. Zumindest diese Einschätzung teilt etwa die Hälfte der im Barometer befragten Experten. Andere wie beispielsweise Bernd Raffelhüschen (Uni Freiburg) oder Juergen B. Donges (Uni Köln) warnen dagegen EZB-Chef Mario Draghi vor voreiligen Schlüssen. „Herr Draghi sollte mit seiner Einschätzung abwarten. Wir wissen viel zu wenig über die Auswirkungen des Programms, und über kurzfristige Effekte kann man nur spekulieren“, sagt Donges.
In vielen Antworten, etwa von Wilfried Fuhrmann (Uni Potsdam) oder Thomas Gries (Uni Paderborn), wird auch vor massiven Umverteilungswirkungen der Anleihekäufe gewarnt. „Für die Unternehmen hat es bisher weder an Liquidität noch an niedrigen Zinsen gemangelt. Allerdings ist das Programm eine gewaltige Umverteilungsmaschine“, so Gries.
Weiteres Thema in der Juni- Umfrage war der Vorstoß von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zur Reform der Abgeltungsteuer. Die meisten Befragten sehen dies kritisch. Schäuble plant, den derzeit geltenden Pauschalsatz von 25 Prozent auf Kapitaleinkünfte abzuschaffen und durch Steuersätze zu ersetzen, die sich am individuellen Einkommensteuersatz orientieren. Fast jeder zweite Befragte sieht dagegen gerade den Pauschalsatz von 25 Prozent als wichtigen Beitrag zur Vereinfachung des komplizierten deutschen Steuerrechts.
„Verlustgeschäft für Fiskus“
Die Volkswirte befürchten außerdem, dass eine solche Reform gerade Sparer der Mittelschicht zusätzlich belastet, während Eigentümer hoher Vermögen weiter Möglichkeiten hätten, die Steuer zu umgehen. „Der Vorstoß ist falsch, weil er die Mittelschicht erneut belastet, das Risiko der Kapitalflucht anhebt und kompliziert ist“, gibt Siegfried Franke (Uni Budapest) zu bedenken.
Tim Krieger (Uni Freiburg) befürchtet, dass mit höheren Steuersätzen Anreize zur Steuerhinterziehung geschaffen werden: „Die Umsetzung des Plans wird ein Verlustgeschäft für den Fiskus.“ Bruno Schönfelder (TU Freiberg) wiederum hält eine Orientierung am individuellen Steuersatz nur dann für vertretbar, wenn sich die Kapitalertragsteuer ausschließlich auf die realen Kapitalerträge richten würde. „Eine Besteuerung der nominalen Erträge mit 45 Prozent kommt einer entschädigungslosen Enteignung nahe und wäre mit der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes nicht vertretbar.“