Zu Beginn des zweiten Halbjahres 2014 beurteilen die führenden deutschen Volkswirte die wirtschaftlichen Perspektiven in Deutschland zunehmend skeptischer. Das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv geht auch im Juli leicht zurück – das dritte Minus in Folge. Das Barometer steht nun bei 61,8 Punkten, 2,8 Prozent unter dem Vormonat; die Prognose bei 64,1 Punkten, ein Minus von 3,7 Prozent.
von Wolfgang Ehrensberger, Euro am Sonntag (Link zum Originalartikel)
Damit ist ein seit Mitte 2013 bestehender Aufwärtstrend vorerst zu Ende gegangen. Die Erhebung liegt auf Linie der am Dienstag veröffentlichten ZEW-Konjunkturerwartungen für den Monat Juli. Die dabei befragten Profianleger und Analysten beurteilten die wirtschaftliche Entwicklung schon den siebten Monat in Folge skeptischer.
„Dammbruch“ Mindestlohn
Anfang Juli hat der Bundestag die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro in Deutschland für Anfang 2015 beschlossen. Ein zentrales Anliegen dieser Initiative von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) war es, mit dem Mindestlohn den Haushalten höhere Einkommen zu ermöglichen und damit insgesamt den privaten Konsum zu steigern. Dagegen erwarten fast drei Viertel der im Barometer befragten Ökonomen trotz Einführung des Mindestlohns nur konstanten oder gar sinkenden privaten Konsum.
Die Mehrheit der Volkswirte rechnet außerdem mit einer tendenziell höheren Inflationsrate und sinkenden Unternehmensgewinnen. Den deutlichsten Effekt sagen die Experten jedoch für den Arbeitsmarkt voraus: 58 Prozent prognostizieren tendenziell höhere, zwölf Prozent spürbar höhere Arbeitslosigkeit. Dass der Mindestlohn am Ende dazu führen wird, dass in einzelnen Branchen Geschäftsmodelle unrentabel werden und es dort zu Geschäftsaufgaben kommt, glauben 84 Prozent der Befragten.
Wie Thomas Apolte von der Uni Münster oder Bruno Schönfelder (Uni Freiberg) rechnen viele Befragte mit negativen Beschäftigungseffekten vor allem bei gering Qualifizierten und in den neuen Bundesländern. Ulrich van Suntum (Uni Münster) spricht von einem „ordnungspolitischen Dammbruch, bei dem der Staat erstmals den Marktpreis der Arbeit flächendeckend außer Kraft setzt“. Thomas Gitzel (VP Bank) und Thomas Gries (Uni Paderborn) verweisen darauf, dass der Mindestlohn zumindest in den exportstarken Industrien nur eine geringe Rolle spielt und sich der Schaden für die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands deshalb in Grenzen halten dürfte.
Zankapfel Pkw-Maut
Weniger eindeutig fallen die Antworten auf das von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vorgestellte Konzept einer Pkw-Maut aus, deren geschätzte Einnahmen von 600 Millionen Euro pro Jahr direkt in den Straßenbau investiert werden sollen. 43 Prozent halten das grundsätzlich für einen sinnvollen Ansatz, die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zu verbessern. 50 Prozent lehnen es ab. An der Frage, wie Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sinnvollerweise im Detail zu finanzieren sind, scheiden sich die Geister. Immerhin 28 Prozent halten die Einführung einer Pkw-Maut bei gleichzeitig reduzierter Kfz-Steuer für das beste Mittel. „Die Pkw-Maut sollte wie die Lkw-Maut entfernungsabhängig ausgestaltet werden“, schlägt Friedrich Heinemann vom ZEW Mannheim vor und sieht verbesserte Lenkungseffekte für die Straßennutzung. Viele halten allerdings das derzeit insgesamt hohe Steueraufkommen für ausreichend. „Es ist lediglich eine andere Ausgabenpolitik erforderlich“, bringt es Günter Franke von der Uni Konstanz auf den Punkt.